Mein Filmjahr 2023

Micha | 31.12.2023

Vorwort

Alles in Allem würde ich sagen, mein Filmjahr 2023 war etwas dürftig. Ich habe mit 45 Filmen deutlich weniger gesehen, als in den Jahren zuvor, was allerdings nicht verwundert. Im zweiten Corona-Jahr 2021 waren es über 110 Filme, man hatte ja sonst wenig zu tun und auch im Corona-Auslauf-Jahr 2022 waren es immerhin noch über 70 Filme. Masse ist nicht gleich Klasse, logisch, nur hat mich inhaltlich dieses Jahr ebenso wenig überzeugt. Es gab keine richtig überragenden Filme (5 Sterne), viel Durchschnittskost und leider auch viele schlechte Filme. Gleichwohl ist mein persönliches Ranking doch überraschend und … bezeichnend. Silber- und Bronzemedaille fallen zusammen und werden mit jeweils 3,5 Sternen gleich von drei Filmen geteilt.

Die Gewinner

Silber und Bronze

Da ist zunächst “Die stillen Trabanten” (2022), ein wunderbarer Film, der komplett unter dem allgemeinen Radar lief. Ich selbst habe ihn – zugegeben – auch mehr durch Zufall mit Freunden im Kino gesehen. Wenige Rezensionen, wenige Hinweise auf den Film, wenig Werbung dafür, nichtmal ein Wikipedia-Eintrag, ich kenne gerade mal drei andere Leute persönlich, die ihn gesehen haben. Schade um den schönen Film.
Ich Nachhinein würde ich sagen, der Film leidet unter dem “Ein-Deutscher-Film-BIAS”. Man hat gesehen, es ist eine rein deutsche Produktion, man schaut die Besetzung an, wirft einen kurzen Blick auf die Handlung und denkt sich: “Naja, ein weiterer dieser Filme, die gut sein können aber auch furchtbar.” Ich möchte an dieser Stelle festhalten, diese kognitive Verzerrung, diese Neigung zur Vorverurteilung deutscher Filme ist wirklich von gestern. Großartige deutsche Filme in den letzten Jahren beweisen das, wobei ich nicht die Mainstream-Möchtegernegroß-VielTamTam-Filme wie “Im Westen Nichts Neues” und natürlich nicht Filme auf Till-Schweiger-Niveau (ganz unten) meine.

Ein anderes Kaliber ist “Triangle of Sadness” (2022) von Ruben Östlund und sein Name steht für Qualität. Zwar ist es nicht der ganz große Wurf wie “The Square”, gleichwohl bitterböses Kino vom Feinsten und immerhin hat der Film die Goldene Palme von Cannes gewonnen. (Ein halbe Stünde kürzer wäre gut gewesen, naja, Schwamm drüber.)

Besonders wertvoll und ziemlich angetan war ich von “Alle reden übers Wetter” (2022), ein Low-Budget-Film, der nur eine kleine Episode aus einer ostdeutsche Biografie zeigt, aber so wunderbar auf den Punkt gespielt, dass man sich vor Begeisterung verneigen möchte. Absolute Empfehlung, wobei ich weiß, der Film läuft praktisch nirgendwo.

Gold

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Gewinner meines Jahres 2023 ist “Das Lehrerzimmer” (2023). Wow, was für ein großartiger Film, was für eine großartige Schauspielerin, wie gut ist die aktuelle deutsche Schulsituation, und nicht nur die, auch viele “Identitären Probleme”, Moral-Empörungen und Alltags-Fiesheiten auf den Punkt gebracht. Wie oben schon beschrieben, lief auch dieser Film mit dem “Ein-Deutscher-Film-BIAS” in den Kinos. Ich habe das in einigen Gesprächen gemerkt, ironischerweise auch mit befreundeten Lehrerinnen. Ich war mir ziemlich sicher, der Film verschwindet völlig von der Bildfläche, unbeachtet von der großen Öffentlichkeit, trotz vieler Auszeichnungen (Deutscher Filmpreis, Berlinale,…). Doch dann, wie Phönix aus der Asche und wie wunderbar, kam der Film auf die Shortlist der Oscar-Nominierungen 2024 , Kategorie Bester internationaler Film und nun ist er wieder in aller Munde. Heute schreibt sogar die New York Times einen langen, lesenswerten Artikel über den Film.

Bemerkungen und Auffälligkeiten

  • Unter meinen Top10 befinden sich fünf aktuelle deutsche Filme.
  • Hervorheben möchte ich “Roter Himmel” von Christian Petzold. Ich habe nun schon fast ein Dutzend Filme von diesem Regisseur gesehen und die sind alle (!) toll. Und mit Paula Beer scheint er seine neue Nina Hoss gefunden zu haben ;-) .
  • Über “Anatomy eines Falls” ist bereits alles gesagt.
  • Im Juni 2023 ist Cormac McCarthy gestorben, ein amerikanischer Autor vieler toller Bücher. Besonders seine Western, knallhart aber literarisch wertvoll, habe ich alle gelesen und ich liebe sie. Ein Buch aus seiner “Border-Triologie”, nämlich “All the Pretty Horses” (2000) ist verfilmt worden. Im Andenken habe ich den Film geschaut, Leider kann er nicht annähernd mit dem Buch mithalten. Penélope Cruz ist natürlich trotzdem sehenswert.
  • Endlich nach zehn Jahren habe ich dieses Jahr “Inside Llewyn Davis” (2013) von den Coen-Brüdern geschaut. Als Fan-Boy waren meine Erwartungen sehr hoch, gefallen hat mir der Film nicht besonders.
  • Und so kommen wir zur größten Enttäuschung des Kino-Jahres: “Napoleon” (2023). Was hatte ich mich auf den Film gefreut, ein Historien-Spektakel mit dem großartigen Joaquin Phoenix und der wunderbaren Vanessa Kirby. Es war die totale Ernüchterung. Technisch ist der Film ja in Ordnung und der Sound der vielen Kanonenkugeln (Lärm) ist auch ziemlich beeindruckend, doch sonst…. bleibt wenig bis nichts. Es ist schon schade, wenn mehr als 137 Millionen Dollar so versenkt werden. Andererseits ist es vielleicht ganz gut, wenn ein Massenmörder (3 Mio Tote) nicht so toll viel Erfolg hat.
  • Noch etwas zu Napoleon. Die Kino-Fassung ist mit zweieinhalb Stunden nur die gekürzte Version. Der Original-Cut läuft in Kürze mit vier Stunden auf AppleTV+, exklusiv für die Abonnenten. Im Grunde ist das eine Unverschämtheit, andererseits wird sich der Zuschauer (und Apple) umschauen, die Kinoversion war ja schon mindesten eine Stunde zu lang…weilig.
  • Da ich Netflix und Amazon Prime Anfang des Jahres gekündigt hatte, fielen die Filme dort für mich dieses Jahr flach. Ich habe nichts vermisst und warte noch, bis ich Netflix erneut für ein paar Minate buche. Was ich nicht missen möchte, ist MUBI.

Das Fazit des Jahres ist eine Binse: “Wie gut ein Film ist, ist nicht vom Budget abhängig.” Ist das nicht tröstlich.