Diese Tage in Chemnitz

Micha | 08.09.2018

Wir waren die Tage in Chemnitz. Schon unsere erste Begegnung mit einer einheimischen Dame in einer Bäckerei war sehr interessant. Sie stand hinter uns in der Schlange und schien aufgrund unseres nicht-sächsischen Dialekts etwas reserviert. Trotzdem ein Lächeln und ein netter Austausch und wir kamen ins Gespräch. Nach ein paar freundlichen Sätzen hin und her merkte man ihr die Erleichterung geradezu an, dass wir keine Reporter waren, keine Politiker, keine Schaulustigen und keine Demonstranten. Sie glaubte es ja erst nicht, dass wir just diese Woche nur und einzig aus einem kulturellen Grund in Chemnitz waren, wegen der Ausstellung Otto Dix. Unser Ausflug war schon ein paar Wochen geplant gewesen und die aktuellen Ereignisse hätten uns eher davon abgehalten.

Zeitgleich mit dem Aufmarsch eines rechtsradikalen Mobs in Chemnitz, zeitgleich mit den Gegendemos und all den Veranstaltungen gegen Rechts war im Museum Gunzenhauser, mitten in Chemnitz, noch eine der größten Einzelausstellungen über den Maler Otto Dix zu sehen - dreihundert Gemälde, Zeichnungen, Lithografien. Die letzten Ausstellungstage.

Otto Dix war drei Jahre lang Soldat, MG-Schütze im ersten Weltkrieg und wurde 1945 wiederholt eingezogen. Er hat in den Schützengräben in Belgien genauso skizziert wie in der zweijährigen französischen Gefangenschaft. Strichzeichnungen die natürlich nur ein Versuch sein konnten, das ganze Leid, Chaos und Grauen festzuhalten. Dix hat den ganzen Wahnsinn der Weimarer Republik in seinen atemberaubenden Bildern dokumentiert (siehe auch: Glanz und Elend in der Weimarer Republik), den immer größer werdenden faschistischen Einfluss beobachtet und schließlich die Machtergreifung der Nazis verfolgt sowie all das mit und durch seiner Kunst permanent kommentiert. (Chemnitz war übrigens schon Anfang des Zwanzigsten Jahrhunderts eine Stadt voller Kunst und viele Maler der Brücke-Gruppe. Kirchner, Heckel, Schmidt-Rotluff u.a, sind in Chemnitz aufgewachsen.) IMG_4969.jpg

Die besuchte Ausstellung selbst war großartig und gleichzeitig so passend für das aktuelle Zeitgeschehen in Chemnitz: Man sieht Bilder über den Faschismus, die Otto Dix als Mahnmal hinterlassen hat und nicht mal einen Tag zuvor hat sich unweit von hier ein neufaschistischer Pöbel formiert. Man hat im Kopf die Fernsehbilder inklusive Hitlergruß, genauso wie vor sich die Dix’schen Karikaturen mit den gleichen Fratzen. Diese Bilder die man hier betrachtet, wurden als ‘anders’ gestempelt, als entartet gebrandmarkt. Sie wurden zu einem großen Teil auch aus dem Kunstmuseum Chemnitz entfernt und heute, draußen auf den Chemnitzer Straßen versuchen rechte Politiker und neue, selbsternannte kleine Führerlein schon wieder zu definieren, wer und was hier normal ist und wer und was ‘anders’.

Würde es etwas bringen, dieses asoziale, hetzerische Gesindel durch die Ausstellung zu führen? Wohl eher nicht.